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Samstag, 08.10.2011 — 09:00
Abtei Neumünster, Raum José Ensch, 28, rue Münster, Luxemburg-Grund
Europa
Welche Zukunftsperspektiven hat Europa?
Organisiert von den Rencontres Européennes de Luxembourg in Partnerschaft mit dem Institut Pierre Werner

Jahrhundertelang hat Europa die Weltgeschichte beeinflusst, wenn nicht sogar geschrieben: Europäische Länder haben abwechselnd oder gleichzeitig die Welt beherrscht. Aufgrund ihrer Macht hatten sie die Möglichkeit, zu handeln, zu produzieren oder zu zerstören (s. Raymond Aron). Die Weltgeschichte beschreibt die menschlichen Taten und vor allem Kriege, Kräfteverhältnisse und Abkommen. Der Frieden in Europa, eines der Hauptziele der europäischen Einigung, ist heute erreicht. Europa scheint nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der UdSSR keine Feinde mehr zu haben. Europa, das keine Kriege mehr kennt, kapselt sich vom Rest der Welt ab, erfreut sich an seinem Reichtum. Innerhalb der großen Nationen erstarken die Regionen auf Basis einer gemeinsamen Kultur. Sie ziehen sich zurück, statt auf ein Ziel hinzuarbeiten, das die lokalen wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Ressourcen steigert. Europa bringt seine Bürger nicht mehr zum Schwärmen. Es scheint einfach ein großer Markt ohne Regeln zu sein, wo einige maßlos konsumieren während andere sich immer mehr einschränken müssen. Und trotzdem ist Europa für hunderte Millionen Menschen auf der Welt ein beneidenswerter Ort (s. Luxemburger Europagespräche 2010). Das europäische Modell und seine Kultur werden weiterhin in die ganze Welt exportiert. Ein derartiger Austausch bedeutet jedoch auch eine Abwanderung von Fachkräften. Ein ökonomischer und intellektueller Verlust ist die Folge.

Aber hat Europa je tatsächlich die Weltgeschichte dominiert? Hatte Europa seine Vormachtstellung nicht allein seiner technologischen Übermacht zu verdanken? Seine wirtschaftliche und technologische Macht hat es Europa ermöglicht, die Erfindungen anderer sich selbst zu zuschreiben: die Demokratie, die Familie, das Papier, das Schießpulver usw. Hat dieser europäische Narzissmus die Geschichte anderer Nationen verborgen? Amerika wurde 1492 „geboren“, weil es damals von einem Europäer entdeckt wurde. Für die indianischen Ureinwohner existierte es bereits lange zuvor.

Ist Europas „Austritt aus der Geschichte“ unausweichlich, wie der systematische Untergang jeder Zivilisation? Die Bevölkerung des Südens, die 1950 doppelt so groß war wie die im Norden, wird 2050 sechs Mal so groß sein. Der demographische, politische und wirtschaftliche Schwerpunkt verlagert sich. Amerika schaut nicht mehr nach Europa. Erst Expansion, dann Rückzug: Befindet sich Europa nicht mittlerweile in einer Phase, in der andere Zivilisationen mehr und mehr die geschichtliche Entwicklung bestimmen? Ist Geschichte ein Pendelphänomen?

Die meisten europäischen Länder wünschen selbst, nicht länger Großmächte zu sein. Lediglich die alten Kolonialmächte wie Großbritannien und Frankreich glauben vielleicht noch daran. Soll dieser Anspruch aufgegeben werden, auch wenn er noch erfüllt werden könnte? Wie wichtig ist es für Europa, Teil der Geschichte zu sein? Heißt es nicht, glückliche Menschen haben keine Geschichte(n)?

Reflektiert diese Haltung nicht die mangelnde Ambition, die Erschöpfung und das Aufgeben Europas? Sollte Europa nicht wieder in den Vordergrund treten und die Herausforderungen, die sich in Zusammenhang mit dem demographischen Wandel und der Immigration stellen, anpacken? Sollte Europa nicht versuchen, ein neues Modell zu entwickeln, das nicht allein die Wettbewerbsfähigkeit als Kriterium für Leistungsfähigkeit und die Wachstumszahlen nicht als einzigen Indikator für Erfolg ansieht? Könnte Europa nicht über seine Grenzen hinaus seine Macht und seine Entschlossenheit ohne Komplexe zeigen?

Vortragsredner:

Eddy Caekelberghs

Bernard Cassaignau, Mitglied der Luxemburger Europäischen Gespräche

Dr. Matthias Dembinski, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Peace Research Institute, Frankfurt/Main

Guillaume Duval, Chefredakteur der Zeitschrift „Alternatives économiques“

Jean-Marc Ferry, Philosoph und Professor für Politikwissenschaft und Moralphilosophie an der Freien Universität Brüssel

Charles Goerens, Europaabgeordneter, ehemaliger luxemburgischer Minister für
Zusammenarbeit, humanitäre Maßnahmen und Verteidigung

Simon Petermann, Doktor der Politikwissenschaften und der Diplomatie, Honorarprofessor der Universität Lüttich

Dr. Philippe Poirier, wissenschaftlicher Mitarbeiter in Politikwissenschaft an der Universität Luxemburg, Koordinator des Programms zur europäischen Governance

Jean Portante, Professor, Schriftsteller, Dichter, Übersetzer und Mitarbeiter des Journals « le Jeudi »

Luigi Pruneti, Historiker

Alvin Sold, Generaldirektor von Editpress und Präsident der Luxemburger Europäischen Gespräche

Organisiert von den Rencontres Européennes de Luxembourg in Partnerschaft mit dem Institut Pierre Werner